Nachfolgeplanung in Familienunternehmen: Lehren aus der Barbier-Mueller-Familie

Die Vergangenheit würdigen und die Zukunft gestalten

Die Schwestern Marie und Valentine Barbier-Mueller mussten die Leitung des Unternehmens ihrer Familie unter dramatischen und schwierigen Umständen übernehmen. Doch dank der langfristigen Planung und Vorbereitung ihres Vaters war der Weg vorgezeichnet. Heute teilen die beiden sich die CEO-Position und blicken voller Demut und hart erkämpfter Gelassenheit in die Zukunft.

Führungserfahrung weitergeben

Die Schwestern Marie und Valentine Barbier-Mueller beschreiben ihren Vater Thierry als einen Mann der Widersprüche. „In gewisser Weise war er sehr strukturiert, auf Planung bedacht und natürlich ein cleverer Geschäftsmann“, erklärt Marie. „Aber er sagte auch oft, halb im Scherz: ,Ich bin ein Künstler, der in der Wirtschaftunterwegs ist‘, und seine Kreativität war auch wirklich immer spürbar.“

Es ist nicht so, dass es für das Unternehmen zwei Steuer gäbe; es gibt ein Steuer, und wir lenken es mit vier Händen.
— Valentine Barbier-Mueller

Thierrys Vater Jean Paul hatte 1960 in Genf die Société Privée de Gérance (heute schlicht SPG) gegründet, die sich auf dem Westschweizer Markt für Immobilienberatung und ‑dienstleistungen schnell als wichtiger Akteur etablierte. Im Jahr 2000, kurz vor seinem 40. Geburtstag, übernahm Thierry die Leitung des Unternehmens als CEO. Aber wie schon sein Vater und sein Großvater mütterlicherseits vor ihm war Thierry vor allem ein leidenschaftlicher Kunstsammler.

Maries und Valentines Großvater Jean Paul und seine Frau Monique eröffneten 1977 in Genf das Museum Barbier-Mueller für ihre hochkarätige Sammlung traditioneller Kunst aus aller Welt und aus verschiedenen alten Zivilisationen.

Als Thierrys Töchter erwachsen wurden und er über die Zukunft der SPG nachzudenken begann, stand eine Seite seiner Persönlichkeit – die des scharfsinnigen und gründlich vorbereiteten Firmenchefs – klar im Vordergrund. „Vorbereitung war für ihn extrem wichtig“, erinnert sich Marie. „Er hatte im Kopf, dass ein vernünftiger Nachfolgeplan fünf bis zehn Jahre braucht. Daher begann er schon früh, mit uns ganz offen darüber zu sprechen.“ Für die Aufnahme in das Familienunternehmen mussten seine fünf Töchter drei Kriterien erfüllen: abgeschlossenes Hochschulstudium, erfolgreiche Tätigkeit in einem fremden Unternehmen und echte Motivation zum Einstieg. Marie und Valentine, die beiden Ältesten, brachten alle drei Voraussetzungen mit und traten 2018 bzw. 2019 in die Geschäftsleitung ein.

Weitergabe eines Familienunternehmens

Bei ihrer Einarbeitung zeigte sich jedoch die fluidere und freiere Seite des Vaters. „Er hat uns gesagt: ,Ich werfe euch ins kalte Wasser und schaue dann, wie ihr schwimmt‘“, sagt Valentine. „Das war nicht sonderlich strukturiert. Er war sicher, dass wir schnell lernen würden, wenn wir irgendetwas nicht konnten oder wussten.“ Gleichzeitig war Thierry ein wunderbarer Lehrer und ein Kommunikationstalent und gab sein Wissen gerne weiter. „Firmenpatriarchen teilen manchmal überhaupt keine Informationen mit dem Nachwuchs, und der weiß dann nicht, wo er sie findet und was er zu tun hat“, sagt Marie. „Bei uns war es das Gegenteil. Wir bekamen alle seine E-Mails in Kopie und waren an allenEntscheidungen beteiligt, großen wie kleinen.“

Diese Phase ging fast fünf Jahre lang. Im Dezember 2022 nahm Thierry einen seiner engsten Vertrauten im Unternehmen zur Seite und sagte, er habe das Gefühl, dass seine Töchter bereit seien, das Ruder zu übernehmen. Im Monat darauf starb er tragischerweise am plötzlichen Herztod.

Wie immer in Familienunternehmen war dies ein Schlag nicht nur für die Angehörigen. „Jeder war geschockt: Mitarbeitende, Kunden und alle anderen Stakeholder“, sagt Marie. Nun war es an ihr und ihrer Schwester, das Unternehmen durch diese schwierige Zeit zu führen. Doch hier bewährte sich die hervorragende Vorbereitung, Planung und Anleitung ihres Vaters. „Als er starb, hatten wir das Gefühl, dass wir den Übergang zu 80 Prozent schon mehr oder weniger geschafft hatten“, sagt Marie. Außerdem konnten die Schwestern dank Thierrys Offenheit sicher sein, dass sie alle Informationen hatten, die sie brauchten. „Wir wussten, dass es unsere Verantwortung war, das Kommando zu übernehmen und einzuspringen“, sagt Marie.

SPG verdankt seinen langjährigen Erfolg auch dem unermüdlichen Streben nach Qualität, das sich sowohl im Dienstleistungsangebot widerspiegelt als auch in der Akribie, mit der jedes einzelne Projekt behandelt wird. Hinzu kommt ein ausgeprägter Sinn für Ästhetik, Design und Architektur.

Ein Vermächtnis für die Zukunft

Heute teilen sich Marie und Valentine die CEO-Position. Das ist nicht unbedingt ein Modell, das viele empfehlen würden, geben sie zu, denn man könnte vermuten, dass am Ende nicht klar ist, wer wofür verantwortlich ist und geradezustehen hat. Aber, so Valentine, „wenn es funktioniert, funktioniert es wirklich gut.“ Bei ihr und Marie ist das eindeutig der Fall. Sie haben die CEO-Aufgaben unter sich aufgeteilt, aber sie haben eine strategische Vision. Wie Valentine es ausdrückt: „Es ist nicht so, dass es für das Unternehmen zwei Steuer gäbe; es gibt ein Steuer, und wir lenken es mit vier Händen.“

Unseren Vorteil sehen wir darin, dass wir uns durch Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit und langfristige Beziehungen von anderen abheben.
— Marie Barbier-Mueller

Damit diese Einigkeit erhalten bleibt, ist regelmäßige Kommunikation unerlässlich. Die Schwestern telefonieren mehrmals täglich und haben zudem organisierte Meetings und ein wöchentliches Vieraugengespräch mit ausführlicher Tagesordnung. Seit zweieinhalb Jahren haben sie auch externe Berater, darunter einen spezialisierten Coach für Unternehmensorganisation. „Es hilft, jemanden zu haben, der uns aus der Außenperspektive betrachtet, uns herausfordert, unsere blinden Flecken sieht und uns hilft, diese Beziehung zu verbessern“, sagt Valentine. Im Management ist jeder Direktor einer der Schwestern unterstellt, aber die Jahresbeurteilungen machen die beiden für alle Direktoren gemeinsam. „Sie müssen sehen, dass wir uns in unserer strategischen Vision und unserenErwartungen einig sind“, sagt Marie.

Wie wichtig es ist, sich als Einheit zu präsentieren, hat ihr Vater ihnen in den Jahren des Übergangs vermittelt. „Man mag nicht immer einer Meinung sein, und hinter verschlossenen Türen kann man kritisieren und diskutieren, aber das Umfeld muss spüren und wissen, dass man eine Einheit bildet“, erklärt Valentine. Außerdem hat Thierry ihnen vermittelt, dass es wichtig ist, auch in Krisenzeiten immer zu lächeln. „Als Führungskraft hat deine Haltung auch Einfluss auf dein Umfeld, hat er uns erklärt“, sagt Valentine. „Die Menschen schauen auf dich, weil sie Sicherheit und Orientierung brauchen. Deshalb darfst du keine Schwäche zeigen.“ Wenn sie ihren detailversessenen Vater bei seltenen Gelegenheiten um Rat fragten, so erinnern sich die Schwestern, erwartete er von ihnen, perfekt vorbereitet zu sein. „Wenn er das Gefühl hatte, dass wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht oder uns mit dem Thema nicht gründlich beschäftigt hatten, hat er sich nie gescheut, uns zurückzuschicken“, sagt Valentine und lacht.

All diese Lektionen haben sich in den letzten zweieinhalb Jahren als unschätzbar wertvoll erwiesen. Ein Unternehmen wie SPG steht immer vor diversen Herausforderungen, von makroökonomischen Faktoren bis hin zu eher immobilienspezifischen Fragestellungen, etwa wie sich Talente gewinnen und halten lassen oder wie mit neuen Wettbewerbern umzugehen ist. „Angesichts des Aufstiegs von Billiganbietern mit Nullmargen ist uns das Aufkommen disruptiver Geschäftsmodelle und Technologien nicht fremd“, sagt Marie. Die Zukunftsstrategie der Schwestern basiert jedoch auf einem tiefen Glauben an die Stärken der SPG. „Eine Imbissbude ist eben kein Edelrestaurant; man zahlt nicht dasselbe und man bekommt auch nicht dasselbe“, sagt Marie. „Unseren Vorteil sehen wir darin, dass wir uns durch Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit und langfristige Beziehungen von anderen abheben.“

Es ist nicht immer leicht, die richtige Balance zu finden zwischen dem Respekt vor dem Erreichten und der Suche nach dem eigenen Weg.
— Valentine Barbier-Mueller

Obwohl Marie und Valentine viel Zeit in das Familienunternehmen investieren, ist klar, dass sich die Familie Barbier-Mueller nicht als reine Unternehmerfamilie versteht. So eröffneten ihr Großvater Jean Paul und seine Frau Monique 1977 in Genf das Museum Barbier-Mueller für ihre hochkarätige Sammlung traditioneller Kunst aus aller Welt und aus verschiedenen alten Zivilisationen. Das Museum besteht noch heute und bietet ein umfangreiches Veranstaltungs- und Ausstellungsprogramm. In der Zwischenzeit haben Marie und Valentine zusammen mit ihren Schwestern und Cousinen das Schmuckunternehmen Les Muses BM gegründet, das von diesem Teil ihres kulturellen Familienerbes inspiriert ist. Die SPG sponsert zudem einen jährlichen Literaturpreis, der von Thierry initiiert wurde, um Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu unterstützen. „Natürlich wollen die nächste Generation und wir Schwestern weiterführen, was die früheren Generationen künstlerisch und kulturell geschaffen haben“, sagt Marie.

Das Barbier-Mueller-Museum befindet sich im Herzen von Genf und beeindruckt mit einer Sammlung vieler tausend Kunstwerke aus unterschiedlichen Kulturen der Welt. Diese Schätze aus den privaten Beständen der Familie Barbier-Mueller reichen von der Antike bis zur Gegenwart.

Die richtige Balance finden zwischen Kunst, Unternehmertum und Freiheit

Vielleicht trägt dieses breitere kulturelle Erbe dazu bei, dass sie und Valentine überraschend offen mit dem Thema SPG und Nachfolge umgehen. „Unser Vater hat uns eine philosophische Einstellung vermittelt, die auf Bescheidenheit und Gelassenheit beruht“, sagt Valentine. „Er hat sich zwar um die Nachfolge gekümmert, aber auch immer zu uns gesagt, dass kein Unternehmen ein naturgegebenes Recht auf ewigen Fortbestand hat. Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird, nichts ist garantiert. Und das ist auch gut so.“ Sie weist darauf hin, dass das Familienunternehmen vor der Gründung der SPG in Genf im Jahr 1960 als Hersteller von Präzisionswerkzeugen in Solothurn ansässig war; dieses Kapitelwurde inzwischen abgeschlossen, sodass der Weg für ein neues frei war.

Daher verspüren Valentine und Marie, anders als viele andere Unternehmer der Erbengeneration, keinen übermäßigen Druck, das Familien- unternehmen in seiner heutigen Form weiterzuführen. „Es ist nicht immer leicht, die richtige Balance zu finden zwischen dem Respekt vor dem Erreichten und der Suche nach dem eigenen Weg“, sagt Valentine. Eine der wichtigsten Lektionen, die ihnen ihr Vater mitgegeben hat, war vielleicht diese: „Er hat uns immer ermutigt, nach unseren Werten zu leben, Grenzen zu verschieben und unser Leben mit Überzeugung und im Bewusstsein der Freiheit zu leben.“

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