„Trump macht der Eurozone ein unerwartetes Geschenk“
In der Eurozone werde es Tabubrüche geben, die vorher undenkbar gewesen seien. Der fiskalische Impuls in Europa sei enorm, „und der Impuls für das Wachstum wird gewaltig sein“, sagt Raymond Sagayam, Managing Partner von Pictet Group und Co-CEO von Pictet Asset Management. Europas Aktienmarkt habe 20% Aufwärtspotenzial. Weniger begeistert zeigt er sich über die Renditeaussichten von US-Aktien. Die Pictet-Gruppe verwaltet derzeit 724 Mrd. Fr. an Kundengeldern.
Herr Sagayam, welche Anlageklassen empfehlen Sie einem Schweizer Privatanlegerderzeit?
Meine Favoriten sind europäische Aktien sowie Anleihen und Aktien aus Schwellenländern, direkte Privatmarktanlagen vor allem mit Fokus auf Europa und schliesslich Hedge Funds. Aus Sicht eines Frankeninvestors sind die Kosten für die Währungsabsicherung ein wichtiger Punkt, und dann natürlich das Bewertungsniveau der Anlageklassen – aber das gilt für alle Anleger.
Sie setzen also stark auf europäische Werte. Was sind Ihre Argumente dafür?
Vom Fokus auf Europa bin ich sehr überzeugt, insbesondere wenn es um die künftige Performance der Aktien geht. Der Markt ist deutlich unterbewertet, und mit deutlich meine ich, dass über die nächsten drei Jahre mindestens weitere 20% an Kursgewinn möglich sind. Das gleicht die Kosten für die Währungsabsicherung mehr als aus. Auch bei den Schwellenländeranlagen sehe ich ein derart grosses Wertsteigerungspotenzial, dass die Hedge-Kosten eine geringere Rolle spielen als sonst.
Bei den Privatmarktanlagen ziehen Sie das ganze Spektrum in Betracht
Private Equity, Immobilien und Private Debt sind interessant, selbst wenn der Markt teilweise etwas überhitzt ist. Das Angebotsteht nicht immer im Verhältnis zur Nachfrage. Dennoch werden weiterhin ansprechende Renditen erzielt. Hedge Funds wiederum haben eine gute Performance erzielt, und das Umfeld, das sicher noch eine Weile schwankungsanfällig bleibt, sollte auch künftig für gute Renditen sorgen.
Wenn US-Werte nicht zuvermeiden sind, dann würde ich Staatsanleihen den Aktien vorziehen.
Sie haben keine US-Vermögenswerte erwähnt. Sind sie keinen Kauf wert?
Da wäre ich vorsichtiger. Wenn sie nicht zu vermeiden sind – einige Anleger gerade aus dem institutionellen Bereich können nicht auf US-Exposure verzichten –, dann würde ich US-Staatsanleihenden US-Aktien vorziehen. Derzeit werden zwei Drittel des Aktien-index MSCI USA mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 25 oder darüber gehandelt. Das vergleicht sich mit einem langfristigen Schnitt von etwa 18. Der Markt ist überteuert, und das KGV ist angesichts des uns bevorstehenden schwierigen makroökonomischen Umfelds nicht tragbar. Die US-Unternehmen erzielen zwar Gewinn, aber nicht in der erforderlichen Höhe. Ausserdem müssen viele wegen der Importzölle ihre Margen opfern. Aus meiner Sicht gibt die Überbewertung angesichts einer Konjunkturabschwä-chung in den USA Anlass zur Sorge.
Und Treasuries bieten eine bessere Rendite?
Die US-Staatsanleihen handeln mit einer ansprechenden nominalen Rendite und einer positiven Realrendite, trotz recht hoher Inflation. Wir glauben, dass es zu einer Annäherung der Renditen von Aktien und Anleihen in den USA kommen wird. Und wäre es bei ähnlichen Renditen dann nicht sicherer und besser, in Treasuries investiert zu sein? Aber um es noch einmal zu betonen: Ich präferiere Europa und die Schwellenländer. Ich bin kein Fan von Ländern mit einer Schuldenquote von 120% des BIP und einem Nachkriegsschuldenhoch, das auf ausländischen Kapitalzuflüssen zur Finanzierung eines doppelten Defizits basiert. Das ist schlicht kein gutes Rezept.
Schwellenländer und Eurozone liegen vorne
Indexiert, 1.1.2025 = 100
Quelle: Bloomberg
Was sind die Treiber der weiteren Aktienrally in Europa?
Ich glaube, dieses Mal ist es wirklich anders. Wir sind optimistisch hinsichtlich der Wachstumsaussichten. Was wir jetzt sehen, ist keine falsche Morgendämmerung – kein „False Dawn“ – wie so oft vorher. Trump spielt der Eurozone in die Hände und macht ihr ein unerwartetes Geschenk. Es geht um das Geschenk der Zusammen-führung und des Zusammenwachsens. Es führt die Eurozone möglicherweise zu Tabubrüchen, die bisher undenkbar waren.
Meinen Sie damit die erhöhten Rüstungsausgaben?
Auch, aber das fasst zu kurz. Die Pandemie brachte bereits eine erste Wende. Bis Covid kam, drehte sich alles um die Geldpolitik. Die Fiskalpolitik war fast für immer in den Schatten verbannt. Und dann kam die Pandemie, und weltweit wurde das fiskalische Tabu gebrochen. Der grösste Wachstumsmotor der Eurozone, Deutschland, erwacht nun aus dem Dornröschenschlaf und zeigt Bereitschaft, seine Schuldenausgaben für eine ganze Reihe von Infrastruktur- und Industrieprojekten in Höhe von 1 Bio. € zu erhöhen. Und dabei spreche ich noch nicht einmal von Verteidigung, sie macht weitere 800 Mrd. € aus, und das ist eine vorsichtige Schätzung für die nächsten Jahre. Hinzu kommen 750 Mrd. € für das Grossprojekt NextGenerationEU, die in den kommenden Jahren für Halbleiter, digitale und Cloud-Infrastruktur, Cybersicherheit und Software im Währungsraum ausgegeben werden sollen. Das sind enorme Summen, und der Impuls für das Wachstum wird gewaltig sein. Schliesslich kommt dann noch der potenzielle Wiederaufbau der Ukraine hinzu. Davon werden viele Sektoren und Unternehmen in Europa profitieren.
Sind diese Aussichten nicht bereits im Markt eingepreist?
Nein, der Impuls und die Multiplikatoreffekte werden unterschätzt. Europas Aktienmarkt hat 20% Aufwärtspotenzial vom derzeitigen Niveau. Dabei sind das Potenzial für Kapital- und Arbeitsmarktreformen sowie die Schuldenkonsolidierung noch nicht einmal berücksichtigt.
Der Internationale Währungsfonds führt die Schweiz auf Rang eins weltweit, wenn es um ein einfaches Verhältnis von Wachstum und Inflation geht.
Das sind auch gute Nachrichten für die Schweizer Wirtschaft, die mit dem Zollhammer zukämpfen hat.
Der Internationale Währungsfonds führt die Schweiz auf Rang eins weltweit, wenn es um ein einfaches Verhältnis von Wachstum und Inflation geht. Kein anderer Industriestaat schafft es unter die ersten zehn. Schweizer Unternehmen versuchen nicht, allen alles zu bieten. Es gibt eine Nische in der Herangehensweise, in den Sektoren und den Märkten und in der Art und Weise, wie dies zum Ausdruck kommt. Aber die Fähigkeit der hiesigen Unternehmen, innovativ zu sein und Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen zu erzielen, ohne auf Preiswettbewerb zurückzugreifen, ist meiner Meinung nach unübertroffen. Ein sehr guter Gradmesser dafür ist, wie sie mit der extrem starken Aufwertung des Frankens umgegangen sind und wie gut sie sich dabei geschlagen haben.
Die US-Zölle von 39% sind dennoch eine Bedrohung. Senkt die SNB den Leitzins im September in den negativen Bereich?
Ich glaube nicht, die SNB hat den Zyklus abgeschlossen. Zinsen haben strukturell nur einen Wert als positive Zahlen, nicht als negative. Es muss etwas wirklich Bedeutendes passieren, damit wir nochmals in den negativen Bereich geraten – eine grosse Marktkatastrophe oder ein anhaltend deflationärer Impuls. Wir denken übrigens auch, dass die EZB im Juni den Endpunkt erreicht hat. Die 85% Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung durch das Fed im September liegen meiner Meinung nach viel zu hoch, angesichts der Kerninflation und der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt.
Worauf beruht Ihre Präferenz für Anlagen in den Schwellenländern?
Ähnlich wie in Europa profitieren auch die Schwellenländer vonder Entstehung regionaler Blöcke. Für diese Länder, die nun quasigezwungen sind, eine viel engere Zusammenarbeit zu fördern, ist die Zollbedrohung eben auch positiv. Die Brics plus – also Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und weitere Schwellenländer – sind ein gutes Beispiel dafür. Es werden Rohstofftransaktionen zwischen dem Golf-Kooperationsrat GCC und China direkt in Renminbi abgewickelt. Diese Staaten werden zunehmend Wegefinden, Transaktionen in anderen Währungen als dem Dollar abzuwickeln. Und wenn sich das Wachstumsgefälle zwischen den Schwellenländern und den Industrieländern vergrössert – und das wird es –, dann ist das ein sehr positiver Hintergrund für Anlage-klassen aus Schwellenländern. Zudem profitieren sie von einem schwächeren Dollar.
Dann erwarten Sie eine deutliche Wachstumsabschwächung in den Industrieländern?
Wenn wir beim Bruttoinlandprodukt der USA den Handel und die Lagerbestände ausklammern – Komponenten, die stark verzerrend wirken –, dann ist das Wachstum bereits seit dem dritten Quartal 2024 rückläufig. In den USA wird sich dank der Importzölle zunehmend hohe Inflation hinzugesellen. Von der Verlangsamung in den USA und China sind natürlich alle Länder in gewissem Masse betroffen. Aber für die Märkte sind die relativen Vor- und Nachteileausschlaggebend, und da sehen wir Europa und die Schwellenländer klar vorne. Es gibt weltweit den Wunsch nach Ent-Amerikanisierung. Der Rückgang des Dollarindex von 10% seit Jahresbeginn hat in einem Umfeld der relativen Stärke und Stabilität stattgefunden. Das finde ich sehr beunruhigend, und es verheisst nichts Gutes, wenn die Märkte dann wirklich einmal korrigieren.