Aufstieg zu den berühmtesten Köchinnen der Welt
Das Familienerbe weitergeführt
In vielerlei Hinsicht war es Anne-Sophie Pic in die Wiege gelegt, eine grosse Köchin zu werden. Ihr Vater, Jacques Pic, hatte als Kochdrei Michelin-Sterne, und ihr Grossvater, André Pic, ebenso.
Doch als Kind, als sie über dem berühmten Restaurant ihres Vaters in Valence im südfranzösischen Rhonetal wohnte, hatte sie andere Träume: Sie wollte Modedesignerin werden. Doch dann studierte Anne-Sophie Pic Betriebswirtschaft und bereiste die USA und Asien, bis sie über 20 war.
Als sie 1992 nach Valence zurückkehrte, um an der Seite ihres Vaters zu lernen und zu arbeiten, deutete nichts darauf hin, dass sie werden würde, was sie heute ist: eine der meistgepriesenen Köchinnen der Welt. Aktuell hat sie insgesamt acht Michelin-Sterne, darunter drei für die Maison Pic, das Flaggschiff, und 2011 war sie die erste Preisträgerin des Veuve Clicquot World’s Best Female Chef Award.
Das Restaurant Pic*** in Valence.
Doch zunächst wurde der Aufstieg von einer Tragödie überschattet. Nur wenige Monate nach Anne-Sophie Pics Rückkehr starb plötzlich ihr Vater. Dadurch hatte sie kaum Gelegenheit, in der Küche von ihm zu lernen. Daher versteht sie sich in der Küche als Autodidaktin. Nach Jacques Pics Tod verlor die Maison Pic ihren dritten Michelin-Stern, und die Tochter stand voreiner gewaltigen Aufgabe.
Im Jahr 1997 übernahmen Anne-Sophie Pic und ihr Mann David Sinapian das Restaurant, um das Familienerbe wieder aufzubauen. Leiten lassen habe sich von ihrem Instinkt, ihrer Intuition und ihren Erinnerungen, erzählt sie. „Ich bin in der Gastronomie gross geworden. Der wirbelnde Service war für mich als Kind wie ein Zauberballett. Ich haben die Düfte aus der Küche aufgesogen und mir rund um die zahllosen Geschmacksnoten eine Fantasiewelt geschaffen. Mein Vater hat meinen Gaumen geschult, und diesen Schatz, den er mir vermittelt hat, trage ich in mir.“
Michelin-Stern zurückerobert: Wendepunkt der Karriere
Im Jahr 2007 eroberte Anne-Sophie Pic den begehrten dritten Stern des Restaurants zurück. Damit wurde sie zu einer der meistgefeierten Köchinnen der Welt und zur einzigen französischen Spitzenköchin seit 50 Jahren mit drei Michelin-Sternen. Zudem war es ein Wendepunkt in ihrer Karriere, sagt sie, denn es gab ihr das Selbstvertrauen und die Freiheit, ihr kulinarisches Reich zu erweitern. „Ich war stolz und glücklich und natürlich auch erleichtert. Aber für mich war es kein Ende, sondern ein Anfang. Nun konnte ich weiter meinen eigenen Weg gehen.“
Anne-Sophie Pic bei der Arbeit an einer ihrer Kreationen: ein Tomatengericht, das die Einfachheit der Natur und kulinarische Präzision perfekt miteinander verbindet. ©Anne-Emmanuelle Thion
Diesen Weg beschreibt sie als Verbindung zwischen ihrem beachtlichen Familienerbe und dem Wunsch, ein Vermächtnis zu schaffen und einen eigenen Stil zu kreieren – speziell auch mit Einflüssen aus ihren Reisenin Asien.
„Als Tochter und Enkelin von Spitzenköchen“, sagt Anne-Sophie Pic, „hat mich dieses Universum natürlich geprägt … und als Autodidaktin habe ich mich bei der Kreation meiner Gerichte anfangs nur von der Intuition und meinen Gefühlen leiten lassen. Mein Erbe ist noch immer ein solides Fundament, aber ich reichere es gern mit neuen Einflüssen und Entdeckungen an.“ Diese Offenheit ist zu einem zentralen Bestandteil ihrer Philosophie der „Suffusion“ geworden – einer besonderen Art, Aromen und Empfindungen sich sanft vermischen zu lassen und so eine Harmonie zu schaffen, bei der man die Verwurzelung spürt, aber auch Offenheit für Neues.
Es ist eine starke Philosophie, die durch die wichtige Partnerschaft mit ihrem Mann möglich wurde, denn er kümmert sich um die geschäftliche und strategische Seite der florierenden Restaurantgruppe. Zu dieser gehören mittlerweile fünf Gourmettempel mit Michelin-Sternen in Städten von Paris bis Dubai und ein Relais & Châteaux Hotel in ihrer Heimatstadt Valence, am Standort der Maison Pic.
Zudem nahm sich Anne-Sophie Pic eine der wichtigsten Lektionen ihres Vaters zu Herzen: „Erfahrung lässt sich nicht weitergeben. Man muss eigene Erfahrungen sammeln und selbst lernen – aus Misserfolgen wie auch aus Erfolgen.“
Zarter Blumenschmuck ziert die Tische im Restaurant Pic***, die den Sinn für Schönheit und die Liebe zum Detail widerspiegeln, die für das Universum der Anne-Sophie Pic typisch sind. ©Aurélie Lamour
Anne-Sophie Pic ist in einer Zeit berühmt geworden, in der die Köche gewissermassen aus der Küche heraustraten und zu Medienstars wurden. Sie trat nicht nur als Jurorin im Fernsehen auf, sondern ging Ende 2023 auch eine langfristige Kooperation mit Dior ein und eröffnete an drei Standorten in Asien ein „Café Dior by Anne-Sophie Pic“.
In Männerdomäne durchgesetzt
Als Frau in der seit jeher männerdominierten Welt der Sterneküche hat sie, wie sie sagt, in den letzten Jahrzehnten einen positiven Wandel erlebt, aber sie sieht auch noch grossen Handlungsbedarf. „Vor 30 Jahren war die Branche noch sehr verschlossen. In den Küchen gab es kaum Frauen, und Spitzenköchinnen waren erst recht unterrepräsentiert. Als ich die Maison Pic übernahm, hatte ich Zweifel und fast Schuldgefühle. Als ob ich kein Recht hätte, hier zu sein, und mich in die Brigade einreihen müsste. Es war nicht leicht, sich als Frau, Köchin und Autodidaktin ernst genommen zufühlen.“
Sie ist stolz darauf, dass sie ihren eigenen Weg an die Spitze gefunden hat. Dabei habe sie „Grenzen verschoben, die Neugier bewahrt und im Team ständig nach neuen kulinarischen Emotionen gesucht“. Allerdings werde die Arbeit von Frauen in der Spitzengastronomie von männlichen Köchen immer noch nicht ausreichend gewürdigt.
Und was ist mit ihrem Kindheitstraum, Modedesignerin zu werden? „Heute designe ich in der Küche keine Kleider, sondern Gewebe aus Aromen. Haute Cuisine und Haute Couture teilen dieselbe Liebe zur Ästhetik und zum Detail“, sagt sie – eine Parallele, die sich auch in ihrer laufenden Kooperation mit Dior widerspiegelt.
Ihre unerwartete Karriere hat Anne-Sophie Pic gelehrt, dass die wichtigste Zutat des Erfolgs die Fähigkeit ist,„Herausforderungen anzunehmen, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen und die Gedankenfrische zu bewahren, die Veränderungen und Revolutionen ermöglicht“.
Grüne Erbsen, schwarze Johannisbeerknospen und Rosengeranien.
Biografie von Anne Sophie Pic
Geboren in Valence im Département Drôme, Kindheit in der Wohnung über dem legendären Restaurant des Vaters, der Maison Pic
Studienabschluss an der
Wirtschaftshochschule ISG (Institut Supérieur de Gestion) in Paris, anschliessend Auslandsreisen und ‑erfahrungen, insbesondere in Asien, dann Rückkehr in die Maison Pic; einige Monate später Tod des Vaters, Jacques Pic
Verlust des dritten Michelin-Sterns der Maison Pic
Übernahme der Maison Pic mit Ehemann David Sinapian und Eröffnung eines Relais & Châteaux Hotels in Valence
Rückeroberung des dritten
Michelin-Sterns für die Maison Pic als Frankreichs einzige Drei-Sterne-Köchin seit 50 Jahren
Eröffnung des Pic au Beau Rivage Palace in Lausanne, das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet wird
Auszeichnung mit dem ersten
Veuve Clicquot World’s Best Female Chef und Ernennung zum Chevalier der französischen Ehrenlegion
Eröffnung des La Dame de Pic Paris, das einen Michelin-Stern erhält
Beginn der Kooperation mit Dior, Eröffnung eines Café Dior im Flughafen Kansai, Osaka, und Eröffnung des Cristal Room by Anne-Sophie Pic in Hongkong
Aufnahme in die Liste „50 Over 50“ von Forbes France, Eröffnung eines weiteren Café Dior in Shanghai und Vorbereitung der für September geplanten Eröffnung des Le Normandie, des umgestalteten Flaggschiff-Restaurants des Mandarin Oriental, Bangkok, als Küchenchefin
Named on the Forbes France 50 Over 50 list, opens another Café Dior in Shanghai, and prepares to open Le Normandie, the newly reimagined flagship restaurant of the Mandarin Oriental, Bangkok, as head chef in September