„Europa bietet sehr viele Chancen“

„Europa bietet sehr viele Chancen“

Mit der Verlangsamung in Asien ist der alte Kontinent wieder mehr in den Fokus gerückt. Pictet-Partner Marc Pictet erklärt, weshalb er China trotzdem nicht abgeschrieben hat.

Interview: Jeffrey Vögeli

Finanz und Wirtschaft,
Samstag 5. November 2022

Marc Pictet ist, selbst für einen Privatbankier seines Kalibers, momentan viel unterwegs. Der Managing Partner der Bank Pictet muss, zusammen mit den Beratern in seinem ­Verantwortungsbereich Wealth Management, die Kundenbeziehungen wieder enger knüpfen, welche in der Coronazeit auf den virtuellen Kontakt beschränkt waren.

Der Beratungsbedarf ist akut: China wächst langsamer, Europas Erben übernehmen das Ruder und eine Energiekrise hatten die wenigsten auf dem Radar.

Herr Pictet, wie geht es Ihnen? Haben Sie viel zu tun?

Relativ viel, ja. Aber wenn die Anstrengungen der Vergangenheit Früchte tragen, macht das Freude. Besonders in diesen turbulenten Zeiten. Die Resonanz von Pictet bei Kunden und auf dem Arbeitsmarkt ist gut, das gibt uns Energie.

Sie leiden also nicht unter dem allgemeinen Fachkräftemangel? Gerade in der IT sei es schwierig, hört man überall.

Ich sage es einmal, könnte es aber überall wiederholen: Es gibt heutzutage kein einfaches Thema. Alles ist komplizierter geworden. IT ist für uns natürlich ein wichtiges Thema. Wir haben vor acht Jahren entschieden, ein Entwicklungszentrum in Luxemburg aufzubauen. Dort arbeiten jetzt über hundertfünfzig Kollegen. Nun bauen wir ein zweites in Portugal auf. Insgesamt haben wir über fünfhundert Mitarbeiter in der IT. Dieser Bereich ist entscheidend, um die besten Systeme für unsere Kunden und uns zu implementieren. Zudem ist wie bei allen Dienstleistern ein wichtiges Thema, die Daten der Kunden und unsere eigenen sicher zu halten.

Spüren sie mehr Hacker-Aktivität seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs im Februar?

Das Thema ist insgesamt noch relevanter geworden. Wir haben regelmässig Angriffe, das gehört zum Geschäft. Aber einen signifikanten Anstieg haben wir bisher nicht gesehen.

Auch über das Cyberthema hinaus leben wir in einer Zeit, die von Katastrophenszenarien geprägt ist. Vom Klima, über die Energiekrise, bis hin zum Atomkrieg. Was raten Sie den Kunden?

Wenn man erst heute an solche Dinge denkt, ist es eigentlich zu spät. Der wichtigste Punkt ist immer eine gute Vorbereitung. Wir haben beispielsweise seit über zwanzig Jahren nachhaltige Themen umgesetzt. Damals sprach noch niemand von ESG, aber wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir als treuhänderischer Verwalter von Kundenvermögen einen positiven Einfluss haben könnten. Aus diesem Gedanken entstand zum Beispiel unser Wasserfonds. Ich muss allerdings zugeben, dass wir den Energiemangel nicht als wahrscheinlich in der Risikomatrix hatten. Geopolitische Spannungen sind an sich nichts Neues, doch die Risiken sind heute stärker verzahnt. Klima, Cyber, Protektionismus - alles kommt zusammen. Aber nicht alles ist dunkel, es gibt auch viele Opportunitäten.

Wo sehen Sie im Moment die grössten Chancen?

Der Anleihenmarkt hat sich stark bewegt und bietet jetzt Chancen. Rund zehn Jahre lang gab es da nur stellenweise gute Gelegenheiten. Jetzt ist der Obligationenmarkt wieder interessant.

Kann man angesichts der Inflation damit wirklich realen Mehrwert schaffen?

Das ist die Frage, aber wir glauben, in naher Zukunft schon. Des Weiteren sind gerade in der Schweiz auch einige super Blue-Chip-Aktien wieder interessant, die stark korrigiert haben.

Wir haben über Grossrisiken gesprochen - dazu gehört auch die Pandemie. Ist Corona noch ein grosses Thema?

Einmal pro Woche mindestens habe ich eine Sitzung mit unserer Geschäftsleitung in Asien. In Hongkong ist das Thema immer noch sehr präsent. Wir können zwar wieder reisen, aber das chinesische Festland und Taiwan bleiben nach wie vor kaum zugänglich. Es ist also noch nicht vorbei. Die Coronakrise hat zudem eine grosse Wirkung in der Gesellschaft gehabt. Die Kunden stellen deshalb auch andere Fragen. Das Thema Resilienz, also Stabilität und Sicherheit, ist viel höher auf der Agenda.

Asien ist ja für Pictet ein zentraler Markt. Nun ist China über die letzten Jahre deutlich weniger offen geworden. Haben Sie Ihre Haltung dazu geändert?

Asien bleibt für uns als Markt wichtig. Wobei Zürich momentan am stärksten wächst. Zudem bietet Europa sehr viele Chancen, da derzeit ein besonders starker Vermögensübergang von einer auf die nächste Generation stattfindet. Für uns als Privatbank ist das hochinteressant. Viele Wettbewerber reden wenig über Europa, aber das Potenzial ist riesig.

Das hört sich an, als wäre Asien etwas in den Hintergrund gerückt.

Die Region bleibt unverändert im Fokus. Aber kurzfristig bietet Europa sehr grosses Potenzial für Pictet im Wealth Management. In Asien ist die Situation schwieriger als vor fünf Jahren. Wir sind aber seit vierzig Jahren da und das wird auch so bleiben. Die Unsicherheit, der Mangel an Visibilität, bedeutet, dass Unternehmer in Asien Unterstützung brauchen. Das Wachstum ist da. Vielleicht langsamer und auf tieferem Niveau, doch ungebrochen.

Die Aufbruchstimmung, die man in Hongkong und China in den Nullerjahren und bis in die Anfänge von Präsident Xi Jinpings Amtszeit spüren konnte, ist aber weg. Die Technokraten an der Parteispitze haben enttäuscht, indem sie nicht mit der Weitsicht gehandelt haben, die man ihnen zugetraut hätte. Das hat nun auch negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Ist das auch für die Pläne von Pictet ein Risiko?

Ich teile nicht unbedingt Ihre Meinung, wenn Sie sagen, es sei nicht mit Weitsicht gehandelt worden. China hat einen anderen Weg gewählt bei Corona und das Land ist Teil der Weltwirtschaft, die sich abkühlt. Es findet dort nach sehr starkem Wachstum jetzt eine Konsolidierung statt. Man muss Wachstum managen und die chinesische Regierung tut genau das. China wird weiter aufholen, aber in dieser Phase werden sich die Strukturen nach dem steilen Wachstum zuerst anpassen. China ist zudem nicht nur China allein, sondern auch China in der Welt. Und in dieser Rolle reagiert das Land auch auf geopolitische Spannungen. In dem Sinn ist die Entwicklung für mich keine Überraschung. Unsere Kollegen in Hongkong sagen, dass die Stadt sich wieder mit Leben füllt und sie positiv nach vorne schauen. Die Leute dort wollen arbeiten und erfolgreich sein.

Das heisst, Hongkong wird nicht an Bedeutung verlieren?

Man muss die Tendenzen in Relation stellen. Ich glaube, dass China sich mittelfristig wieder öffnen wird. Nicht morgen, aber irgendwann in den nächsten Jahren. Dann wird sich auch Hongkong wieder stärker öffnen und den Wachstumskurs wiederfinden. Es gab einen Schock, und diesen Schock muss das Land verdauen - aber Hongkong ist für uns sehr wichtig. Die Stadt wird das Tor zu Mainland China bleiben. Zudem ist es ein grosser Kapitalmarkt und ein wichtiger Börsenplatz.

Mit der zunehmenden Wichtigkeit von China steigt auch der Einfluss. Ist es für Banken ein Risiko, dass China ähnlich wie die USA Transparenz über
Kundenbeziehungen fordern könnte?

Europa ist nicht immer ein Leader. Aber wenn es um Transparenz geht, ist es meines Erachtens ein Vorbild. Und dieses Modell der vollen Transparenz nützt europäischen Finanzhäusern auch in anderen Ländern. Sie können ihr Geld in Mainland China haben, in Singapur, in Hongkong oder Zürich – am Ende will der Staat volle Transparenz haben. Zudem wird der Anlegerschutz auch in China noch stärker kommen. Wenn man vermögende Unternehmer in China als Kunden haben will, muss man dort registriert sein. Pictet hat diesen Schritt bisher nur im Asset Management gemacht. Das grenzüberschreitende Geschäft wird sich möglicherweise ähnlich entwickeln wie in Europa.

Wie ist es allgemein in Bezug auf die Regulierung? Zeitweise schien es, als schwinge das Pendel etwas zurück. Stimmt das noch?

Ich würde sagen, dass Covid zu einer gewissen Verlangsamung der Regulierung geführt hat. Das Thema Regulierung ist und bleibt aber ein herausforderndes. Jüngst zum Beispiel im Zusammenhang mit Greenwashing. Hierzu gibt es mittlerweile zwischen den Banken und dem Regulator einen regen Austausch, wobei sich die Frage stellt, ob es mehr Regulierung oder mehr Selbstregulierung braucht. Der Umgang mit Regulierung international ist sehr komplex. Deswegen ist der Fokus auf wenige Geschäftsfelder so wichtig, denn man muss immer alle Regeln verstehen und umsetzen. Insbesondere wenn man eine über viele Jahre aufgebaute gute Reputation erhalten möchte.

Diesen Herausforderungen zum Trotz sind Sie optimistisch für die Zukunft des Geschäfts in Europa wie in Asien. Aber im Moment ist die Stimmung eher düster. Haben Sie an der Strategie der Bank etwas geändert?

Nein. Wir planen über Jahrzehnte. Als privat gehaltenes Unternehmen haben wir das Privileg der Zeit. Wir können es uns leisten, nichts zu tun bzw. eine Idee reifen zu lassen und auch dranzubleiben, wenn andere aufgeben. Wobei das nicht heisst, dass wir stillstehen. Wir haben in den letzten Jahren viele neue Mitarbeitende eingestellt, die nun unsere Kultur kennenlernen müssen. Und auch unsere Kunden suchen in einer Zeit nach Covid wieder mehr direkten Kontakt mit uns.

War es diese Option «Nichtstun», die es dem ehemaligen Julius-Bär-Chef Boris Collardi schwer gemacht hat, sich ins Partnergremium von Pictet einzufügen?

Das ist Ihre Interpretation. Es ist ja nicht so, als lägen wir am Strand.

Natürlich nicht. Aber das langsamere Vorgehen von Pictet unterscheidet sich stark von dem einer kotierten Bank, wo ein gewisser Aktivismus teilweise durchaus belohnt wird. Und nach den Massstäben von Pictet haben sich mit dem Ein- und Austritt eines Partners innerhalb von drei Jahren die Ereignisse richtiggehend überschlagen.

In unserer 217-jährigen Geschichte ist das nicht das erste Mal gewesen. Pictet ist ein dynamisches, privates Unternehmen, aber wir setzten ausschliesslich auf organisches Wachstum mit einem klaren, fokussierten Modell. Wir halten dieses Modell für das Richtige für die Vermögensverwaltung und das Asset Management. Innerhalb unseres Modells ist es manchmal gut, Dinge etwas anders zu machen. Wie etwa, ein höheres Tempo beim Wachstum von Mitarbeitenden einzuschlagen. Wir konnten sehr gute Teams einstellen. Aber die Struktur muss fähig sein, all diese Talente zu integrieren, und darauf sind wir derzeit konzentriert. Die Kontakte zu Boris sind übrigens weiterhin sehr gut. Ich war gerade letzte Woche mit ihm essen.

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